Zeiten für gesunden Menschenverstand
Professor Klaus Schweinsberg, Berater von Topmanagern, auf dem Investmentforum der Braunschweiger Privatbank
2010 schrieb Professor Klaus Schweinsberg, Berater und Coach namhafter Unternehmer und Topmanager in Asien, Europa und den USA, in einem Buch, dass das Jahr 2014 das Zeug zum Schicksalsjahr für die Zukunft Europas und Deutschlands Verankerung in der Staatengemeinschaft habe. Politische Beben drohten, damit gingen drastische Erhöhungen der Nahrungsmittelpreise einher. Nichts davon trat ein. Aber, 2014 sei der Ausgangspunkt der heute so schwierigen Weltlage gewesen.
„Das Datum, was uns jetzt allen als Beginn des Ukraine-Kriegs bekannt ist, ist der 24. Februar 2022. Faktisch begann er aber schon 2014 mit der Krim-Invasion Russlands. Was wir auch nicht registriert hatten, war, dass China 2014 ein aus dem Jahr 2003 stammendes Papier zum Thema Verhältnis Volksrepublik China zu Europa aktualisiert hat. Es wurde aus einer Position der Stärke glasklar formuliert: Wir betrachten uns nicht als Partner, sondern als strategischen Wettbewerber. Wir hatten 2014 die Ebola-Pandemie in Afrika als kleines Vorspiel zu Corona. Ebenfalls erwähnt werden muss, dass am 11. Juni 2014 der Leitzins erstmals unter null sank. Also wir sind nicht hinter meiner These für das Jahr 2014. Da begann dieser Prozess, in dem wir heute stecken“, erläuterte er.
„Ich glaube, dass wir noch in einer Situation sind, die gestaltbar ist, wenn wir bereit sind, Tatsachen anzuerkennen und alte Zöpfe abzuschneiden. Manche Erfordernisse wurden schnell umgesetzt. Das ist bewundernswert. Die Haltung der Grünen zu Militäreinsätzen, die Haltung von Wirtschaftsminister Habeck zu Braunkohlekraftwerken – im Moment ist nicht die Zeit für Ideologien und Doktrinen, sondern für gesunden Menschenverstand“, sagte Professor Klaus Schweinsberg. Chancen und Risiken erläuterte er anhand von sieben „D“s: Defense, Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demografie, Demokratie, Deficit spending, Denkhaltung.
Defense: „Wir haben mit Rheinmetall, Diehl Defence, Krauss-Maffei oder Airbus in der Rüstungsindustrie Fähigkeiten, die wir in anderen Bereichen schon verloren haben“, sagte er. Durch die zögerliche Haltung des Bundeskanzlers lasse Deutschland eine unnötig große Lücke, in die die amerikanische Rüstungsindustrie stoße. Es gehe einerseits darum, der Ukraine zu helfen, andererseits aber auch um Marktanteile. „Die Amerikaner machen das nicht nur, weil sie Polen besonders mögen, sondern weil sie Systeme liefern, die – einmal etabliert – Folgekäufe nach sich ziehen werden. Das ist ein Thema, bei dem wir schleunigst die Kurve bekommen müssen. Traditionell war Rüstungsindustrie immer auch ein Innovationsmotor für andere Industrien.“
Digitalisierung: „Das ist eigentlich ein Thema, auf das die Bundesregierung jetzt industriepolitisch draufspringen müsste“, meinte Professor Schweinsberg. Bei der Digitalisierung sei Deutschland weit entfernt davon, Weltmeister zu sein. Der Ausbau von schnellen Netzwerken sei ein Trauerspiel. Auch bei Zukunftstechnologien wie Quantum Computing hänge Deutschland hinterher, dabei herrsche ein Wettbewerb zwischen Europa, China und den USA. „Ich denke, dass dieser Bereich in den nächsten Jahren sehr stark wachsen wird. Wir müssen uns entscheiden, ob wir dabei sein wollen. Wenn Deutschland sich entscheidet, nirgendwo mehr mitzumachen, dann wird es irgendwann mal eng.“
Dekarbonisierung: „Ich hege Zweifel, dass uns Braunkohlekraftwerke dauerhaft die benötigten Reservekapazitäten liefern können. Dekarbonisierung bietet auch enorme Chancen. Es gibt etliche deutsche Unternehmen, die sehr weit vorne sind beim Thema Wasserstoffproduktion. Nur interessanterweise sitzen die in Afrika. Die werden von hier gar nicht so richtig wahrgenommen, sind aber Unternehmen, die von Deutschen gegründet wurden und von Deutschen geführt werden“, forderte er mehr Innovationsoffenheit hierzulande.
Demografie: Der demografische Wandel mit einhergehendem Arbeitskräftemangel sei ein wachstumshemmender Faktor. Die qualifizierte Einwanderung habe Deutschland verschlafen, kritisierte Professor Schweinsberg. „Wir reden jetzt schon gefühlte 50 Jahre über qualifizierte Migration. Passiert ist gar nichts. Da ist auch das Zeitfenster nicht mehr sehr groß“, mahnte er.
Demokratie: In Deutschland gäbe es regelmäßig 170.000 politische Ämter vom Bundestag bis zum Ortsrat zu vergeben. Alle demokratischen Parteien in Deutschland zusammen hätten noch rund 1,1 Millionen Mitglieder. Und je nach Statistik werde davon ausgegangen, dass zwischen zehn und 30 Prozent davon bereit wären, ein politisches Mandat zu übernehmen. „Das bedeutet, dass für die Besetzung eines Amts rein rechnerisch weniger als ein bis maximal zwei Kandidaten zur Verfügung stehen. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass unsere freiheitliche Grundordnung und auch eine gewisse Berechenbarkeit eine große Standortqualität darstellen. Wir sollten tunlichst darauf achten, dass das weiterhin funktioniert“, meinte er. Das werde allerdings nicht trivialer durch die aktuellen Entwicklungen, die ein erhebliches Potenzial für Populisten böten.
Deficit spending: Die Bundesregierung nennt Schulden jetzt nicht mehr immer Schulden, sondern auch Sondervermögen. Natürlich würden zum Teil aus guten Gründen im Moment sehr viele Schulden gemacht, aber am Ende bliebe die Frage, wer sie bezahlt. Eine rhetorische Frage: „Denn es ist klar, der Steuerzahler. Und je nach Regierungskoalition wird das auch stärker auf Unternehmer zukommen. Das wiederum schwächt insbesondere im Mittelstand“, so Professor Schweinsberg. Dabei wäre es gerade jetzt wichtig, die Eigenkapitalquoten hochzuhalten. Es entwickele sich ein Klima für erhöhte Staatseingriffe in Deutschland. Das sei auf Dauer nicht gut für einen Standort.
Denkhaltung: „Mit Sorge betrachte ich, dass 60 Prozent der Ministerien immer noch im Homeoffice sitzen, dass fast alle Redaktionen dieser Republik, inklusive der Hauptstadt-Korrespondenten, aus dem Homeoffice arbeiten, dass viele Unternehmen ihre Leute immer noch nicht zurückgeholt haben. Sich auch gar nicht trauen, das zu machen“, sagte Professor Klaus Schweinsberg. Erschreckt habe ihn, dass Eliten, als der Ukraine-Krieg ausbrach, sofort Tipps wollten, wie man seine Schäflein schnell ins Trockene bringen könnte. Da frage er sich schon, welches Selbstverständnis in der Elite Deutschlands herrsche. „Ich glaube, wir müssen was tun in diesem Land, um klarzumachen, dass ‚Bürger sein‘ auch mit Pflichten jenseits des Steuerzahlens zu tun hat. Deswegen finde ich den Vorschlag von Bundespräsident Steinmeier gut, junge Menschen in einem einjährigen Pflichtjahr in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Denn die Fertigkeiten, die wir jetzt brauchen, die lernt man nicht auf einer Business School. Es geht nicht um den Charakter der Arbeit, es geht um Arbeit am Charakter“, erläuterte Professor Klaus Schweinsberg und erntete dafür viel Beifall aus dem Auditorium.