Gesucht: die neue Normalität
Jetzt ist die Zeit, zu handeln und alte Zöpfe abzuschneiden
Die Welt versucht, das Coronavirus hinter sich zu lassen. Aber von Normalität sind wir noch weit entfernt. Der Krieg in der Ukraine hat viel Leid gebracht und die Schwächen der deutschen Wirtschaftspolitik schonungslos offenbart. Dazu kommt eine überbordende Inflation, die die Notenbanken stresst. Das Bild ist diffus und die Veränderungsgeschwindigkeit bleibt hoch.
Finanzmärkte unter Druck
Die globale Konjunktur trübt sich aktuell zunehmend ein. Das Wachstum wird belastet durch die stark steigende Inflation, durch sich parallel erhöhende Kosten für Kredite und durch geopolitische Sorgen, insbesondere den Ukraine-Krieg. „Ich erwarte jetzt noch keine Rezession, aber ein relativ schwaches Wachstum für das laufende Jahr. Zwei Prozent sind wahrscheinlich noch zu viel. Ich gehe eher von einem Prozent aus“, zeichnete Stefan Bielmeier in seiner Einschätzung während des Investmentforums am 22. Juni in Wolfsburg immerhin kein ganz düsteres, eher ein schwarz-weißes Bild.
Seine Einschätzung: „Die Konjunktur ist schlecht und wird auf absehbare Zeit auch nicht besser, aber das meiste ist bereits in den Kapitalmärkten eingepreist, sofern sich kein größerer Krieg entwickelt und es keine Auseinandersetzung zwischen China und Taiwan gibt. Eine Inflation bis zu zehn Prozent können die Märkte verkraften, gleichwohl werden sie ein sehr schwaches Jahr haben.“ Belastet von der gegenwärtigen Situation seien Aktienmärkte ebenso wie Renten- und Immobilienmärkte, Kryptowährungen und sogar Gold. Dagegen weisen Staatsanleihen wieder positive Renditen aus. Bei Bundesanleihen sind es immerhin rund eineinviertel Prozent für zweijährige Anleihen und knapp zwei Prozent für zehnjährige Anleihen. Bielmeier schloss perspektivisch sogar Guthabenzinsen auf Girokonten nicht mehr aus.
„Wir sind angesichts der aktuellen Gemengelage sehr defensiv eingestellt. Das werden wir auch in der zweiten Jahreshälfte nur ganz, ganz langsam verändern. Und auch nur dann, wenn wir tatsächlich eine Verbesserung der aktuellen Situation und einen längerfristigen Trend sehen. Wir haben für unser Portfolio aktuell Unternehmen ausgesucht, die sich auch in der Vergangenheit in solchen Phasen mit ihren krisenresistenten Geschäftsmodellen behauptet haben“, erläuterte Stefan Bielmeier die gegenwärtige Strategie der DZ PRIVATBANK. Es gilt hauptsächlich, drohende Verluste zu minimieren.
Noch im vergangenen Jahr war er von der Rückkehr zur Normalität nach den beiden Coronajahren überzeugt und hatte in der damals bereits steigenden Inflation nur ein temporäres Problem gesehen. „Der Zündfunke zu allem, was sich jetzt so schwierig entwickelt, war der Ukraine-Krieg. Wir werden wahrscheinlich im Laufe des Jahrs Hungersnöte in Afrika und starke Migrationsströme nach Europa erleben. Insgesamt ist es ein unangenehmer Cocktail. Das alles führt zur Volatilität, zu großer Unsicherheit an den Märkten mit ihren negativen Folgen“, erläuterte er.
Mit der Vehemenz, mit der die Inflation jetzt gekommen sei, habe niemand rechnen können. Es seien sehr viele externe Faktoren, die dabei eine Rolle spielten. Das Grundproblem bei der Inflation seien insbesondere die steigenden Lebenshaltungskosten für die privaten Haushalte. „Die Zahl der Ratenkredite steigt kräftig. Die Kreditkarten werden stärker belastet. Die Menschen wollen ihren Lebensstandard aufrechterhalten, aber ihr Einkommen reicht dafür nicht mehr“, beschreibt der Vorstand der DZ PRIVATBANK die aktuelle Entwicklung.
Er geht davon aus, dass nicht zuletzt auch wegen der zu Recht steigenden Löhne, die IG Metall fordert beispielsweise acht Prozent mehr, die Inflation auch im nächsten Jahr Begleiter einer abkühlenden Konjunktur bleiben wird, aber eben nicht mehr ganz so hoch wie aktuell. Er räumte ein, dass die Europäische Zentralbank (EZB) vorsichtiger bei der Anhebung des Leitzinses, mit dem die Inflation zu steuern sei, agiere als die US-Zentralbank. „Dort will man auf dreieinhalb Prozent gehen, die EZB auf ein Prozent. Die tut sich aufgrund der Verschuldungssituation einiger europäischer Krisenländer ein bisschen schwer, weil steigende Zinsen bei hoher Verschuldung natürlich negativ sind.“