„Die Welt wird digitaler, radikaler und nationaler“
Die Welt ist hochkomplex und macht keine Anstalten einfacher zu werden. Auf dem Investorenforum der Braunschweiger Privatbank am 6. September 2021 analysierte Prof. Klaus Schweinsberg in seinem Vortrag die Lage und sagte für die Zukunft drei markante Entwicklungen voraus: Die Welt wird digitaler, in Teilen radikaler und auch wieder nationaler werden. Zudem sprach er darüber, welche Konsequenzen Deutschland und die Unternehmen hierzulande daraus ziehen sollten.
Deutschland mit großem Nachholbedarf
„Wir leben in einer Phase, die extrem volatil ist. Man weiß an keinem Tag, wann einem der „schwarze Schwan“ entgegenschwimmt. Alles ist enorm komplex, flankiert von einer Mehr- und Doppeldeutigkeit“, bringt Prof. Klaus Schweinsberg die gegenwärtige Situatuon zu Beginn seines Vortrages auf den Punkt.
Für Deutschland sieht er im digitalen Bereich einen hohen Nachholbedarf und zeigt am Beispiel Supercomputing, dass leistungsstarke Computer ein entscheidender Wettbewerbsvorteil sind. „China hat mit 168 Supercomputern im Vergleich zu Deutschland, mit gerade mal 26 Computern, die Nase ganz weit vorn. Ein weiteres Beispiel: der 5G-Ausbau, bei dem Deutschland ebenfalls hinterherhinkt“, erklärt der Professor.
Sein Appell an die Unternehmen: Digitalisierung viel beherzter anfassen als es aktuell der Fall ist. „Unternehmer müssen das Thema durchdringen und auch ins Risiko gehen, um erfolgreich bestehen zu können. Reagieren die etablierten Player nicht zügig und vor allem auch nicht radikal genug, werden digitale Geschäftsmodelle sie in nicht allzu ferner Zukunft regelrecht vom Markt fegen“, so seine Prognose.
Die Börsenentwicklung zeigt eine Wertverschiebung, die in relativ kurzer Zeit stattfand, noch einmal besonders deutlich: Die fünf großen TEC-Unternehmen in den USA sind genauso viel wert wie der DAX (Stand Sept. 2021 / Anm. d. Red.). Der Experte ist sich sicher: Unternehmen wird eine schwierige Zeit bevorstehen, wenn sie nicht radikal auf die Entwicklungen reagiern und entsprechen gegensteuern. Das schließt auch ein, sich radikal von überholten Geschäftsmodellen zu verabschieden und stattdessen in neue zu investieren.
Er mahnt: „Es besteht dringender Handlungsbedarf. In der Geldpolitik sind bereits radikale Schritte umgesetzt worden und sie müssen auch zukünftig konsequent erfolgen. Die Nullzinspolitik wird nicht ewig laufen.“
Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen
Konsequentes wie radikales Handeln bezieht er auch auf nationale Themen: „Gegenwärtig geben wir auf viele globale Themen lediglich nationale Antworten. Das ist nicht zielführend. Afghanistan ist leider ein gutes Beispiel: Was es am Anfang ein globales Thema, gab es beim Rückzug aus dem Land nur nationale Antworten und Aktionen. Das Gleiche zeigte sich während der Corona-Pandemie, in der wir einen Totalausfall der Europäischen Union bis hin zu Grenzschließungen erlebten. Auch hier gab es für ein globales Problem nur nationale Antworten“, mahnt Prof. Schweinsberg.
Der Trend, sich auf nationale Themen zu fokussieren, verfestigt sich, vor allem in China und in den USA. Setzt sich diese Entwicklung fort werden sich europäische Unternehmer irgendwann mit der Gretchenfrage konfrontiert sehen, ob sie sich für eine Zusammenarbeit mit China oder mit den USA entscheiden. Unabhängig davon, für wen die Entscheidung dann ausfällt, sie wird sich unmittelbar auf ihr Geschäft, ihr Unternehmen auswirken – "und genau darauf sollten alle vorbereitet sein", so das Plädoyer von Prof. Schweinsberg.
Statt abwarten schnell Entscheidungen treffen
Nach der kritischen Bestandsaufnahme und dem mahnenden Blick in die Zukunft beendete Prof. Schweinsberg seinen Vortrag mit positiv stimmenden Schlusssätzen, kombiniert mit einem Aufruf: „Wie so häufig ist die Situation nicht planbar, aber sie ist gestaltbar. Wir müssen lernen, schneller zu werden, das gilt für die Politik und die Industrie gleichermaßen. Es geht darum, mutig Entscheidung zu treffen, die mit einem Risiko verbunden sind. Wenn in die Entscheider-Etagen wieder die Erkenntnis einzieht, dass es schlimmer ist, sich für Nichtstun rechtfertigen zu müssen, als sich für eine Entscheidung zu verteidigen, sind wir einen großen Schritt weiter.“