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„Die Notenbanken sind an einem Wendepunkt angekommen“

Stefan Bielmeier, Mitglied des Vorstands und Chief Investment Officer der DZ Privatbank, im Interview

Stefan Bielmeier

Als langjähriger Beobachter und exzellenter Kenner der globalen Finanzmärkte zählt Stefan Bielmeier zu den ausgewiesenen Wirtschaftsexperten in Deutschland. Er ist im Vorstand der DZ PRIVATBANK für die Anlagestrategie und damit unter anderem für die Entwicklung von Vermögensverwaltungslösungen verantwortlich. Bevor Bielmeier im Januar 2021 als Mitglied des Vorstands in die DZ PRIVATBANK eintrat, war er mehr als zehn Jahre lang Chefvolkswirt sowie Bereichsleiter Research und Volkswirtschaft in der DZ BANK. Seine berufliche Karriere startete der Diplom-Volkswirt mit fränkischen Wurzeln bei der Deutsche Bank. Im Rahmen des Investmentforums der Braunschweiger Privatbank sprachen wir mit ihm.
 

Herr Bielmeier, Ihr Fachvortag, den Sie im September 2023, auf Einladung der Braunschweiger Privatbank gehalten haben, trug den Titel „Wachstum, Inflation, Zinsen – das Spannungsfeld der Kapitalmärkte“. Um was geht es konkret? Was ist die Essenz daraus?

„In Folge der Corona-Pandemie und des Krieges in der Ukraine ist die Inflation ab dem Jahr 2021 auf ein seit Jahrzehnten nicht mehr zu beobachtendes Niveau angestiegen. Um die Inflation zu bekämpfen, mussten die Notenbanken ihre Nullzinspolitik beenden und die Leitzinsen massiv anheben. Inzwischen sind wir auf einem Leitzins-Niveau angekommen, das ausreicht die wirtschaftliche Dynamik zu bremsen und die Inflation zu senken.
Die Notenbanken sind damit am Wendepunkt angekommen. Entscheidend wird allerdings sein, ob die Zentralbanken im Kampf gegen die Inflation zu weit gehen, und mit „zu lange zu hohe Zinsen“ („higher for longer“) die Wirtschaft zu stark belasten und in die Rezession führen oder ob die Zentralbanken es schaffen, rechtzeitig den Druck von der Zinsseite zu reduzieren.

Wir gehen davon aus, dass die Unsicherheiten diesbezüglich zwar noch etwas anhalten werden. Die Notenbanken werden es aber schaffen die Zinspolitik so zu steuern, dass die Inflation erfolgreich bekämpft wird und gleichzeitig die Wirtschaft auf einem schwachen Wachstumspfad verbleibt – der Kapitalmarkt spricht von „Softlanding“. Die Zeiten aggressiver Zinsanhebungen sollten daher hinter uns liegen.“ 


Welche Folgen hatte der Kollaps mehrerer Banken im ersten Halbjahr 2023 auf die Kapitalmärkte? Bleiben diese auch weiterhin unsicher oder ist die Krise ausgestanden?

„Eines vorweg, mit Ausnahme des Spezialfalls der Credit Suisse war dies weitgehend ein Problem von US-Regionalbanken. Die europäischen Banken konnten sich recht schnell wieder vom Schock erholen.
Diese kollabierten US-Banken sind weitgehend den steigenden Renditen zum Opfer gefallen. Wobei Opfer hier nicht falsch verstanden werden darf. Einige diese Banken hatten ihr Einlagengeschäft nicht im Griff und ein unzureichendes Risikomanagement installiert. Dazu kam, dass die Regulierung von US-Regionalbanken scheinbar unzureichend war.
Steigende Renditen führten zu fallenden Bondpreisen und damit zu einem Verlust von Eigenkapital, weshalb die Kunden ihre Gelder abzogen, was die Problematik schnell verschärfte. Die Kapitalmärkte hatten nach ersten Gerüchten schnell in den Risk-off-Modus geschaltet, weil die Erfahrungen zeigen, dass Probleme im Bankensektor sich schnell ausbreiten können.

Die amerikanische Aufsicht hat in der Zwischenzeit die Zügel angezogen. Einige gut aufgestellte US-Großbanken konnten sogar profitieren, da sie kleinere, in Schwierigkeiten geratene Institute zu vorteilhaften Konditionen übernehmen konnten. Im Bereich der US-Regionalbanken zeigen die Aktienkurse jedoch, dass das Vertrauen noch nicht vollständig zurückgekehrt ist. 

Im Bankgewerbe hängt viel von Vertrauen ab, das beispielsweise die Credit Suisse durch verschiedene Fehltritte nicht mehr genossen hatte. Der genossenschaftliche Verbund bewahrheitet sich hingegen auch in dieser Unsicherheit wieder als der Fels in der Brandung, mit hohem Vertrauen. Dies zeigt auch das hervorragende Rating, das zu einem der besten Ratings in der europäischen Finanzbranche zählt. Für unsere Kunden ist dies nicht nur in Krisenzeiten ein sehr starkes Asset.“


Welche Rolle spielen Innovationstrends wie Künstliche Intelligenz und Grüne Transformation für die Kapitalmärkte und die Anleger?

„Diese Themen haben das Potenzial die Wirtschaft nicht nur zu verändern, sondern zu revolutionieren. Und das sehen wir auch an der Kursentwicklung. An den Kapitalmärkten wird die Zukunft und nicht die Gegenwart gehandelt. Diese Themen können daher auch schnell in einen Hype oder Boom übergehen, der die Kurse extrem ansteigen lässt.
Schön lässt sich dies am Beispiel des „Neuen Marktes“ erklären. Nicht jedes Unternehmen, das im Jahr 2000 an der Börse Milliarden Wert war, hat überlebt. Die Technologie aber schon. Das Internet hat die Welt revolutioniert und die Technologieführer zählen heute zu den wertvollsten Unternehmen der Welt.

Sie alle kennen Amazon, den 1,4 Billionen USD schweren Online-Giganten, der nicht nur Pakete ausliefert, sondern auch im Bereich der Cloud und Künstlicher Intelligenz (KI) zu den führenden Unternehmen weltweit zählt. Die wenigsten können sich heute noch daran erinnern, dass die Aktie, nachdem sie von 1997 bis 1999 um sagenhafte 5000% zulegen konnte, von 1999 bis 2001 um 95% eingebrochen ist. Erst danach hat sie erneut den Siegeszug an der Börse angetreten und ist von rund 50 Cent auf zeitweise über 170 USD angestiegen – das sind über 30.000%.

Was möchte ich ihnen damit sagen, gute Technologien werden sich durchsetzen, denn nichts ist beständiger als der Wandel. In der realen Wirtschaft dauert dies länger als an den Kapitalmärkten, daher ist in der Zwischenzeit viel Platz für Phantasie und Spekulation. Nicht jeder Anstieg am Kapitalmarkt muss linear verlaufen und auch nicht nachhaltig sein. Transformation geht immer mit Volatilität einher.

Gefährlicher als die Volatilität ist nur den Fortschritt zu verschlafen. Mit Investitionen in Microsoft, Amazon und Google haben wir beispielsweise erfolgreich an der Entwicklung im KI-Bereich partizipiert. Wir investieren auch in andere Megatrends, setzen aber nie zu viel auf eine Karte.“


Was bedeutet das angespannte Verhältnis zwischen den USA und China ebenso wie die weiterhin kritische Situation in der Ukraine für die Kapitalmärkte?

„Nach der Eskalation in der Ukraine, scheint sich der Kapitalmarkt mit der aktuellen Situation zu arrangieren. Einige der negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft haben sich abgemildert, so sind zeitweise die Energiepreise wieder deutlich gesunken. Auch die Risikoprämien haben sich generell zurückgebildet.
Wir sind aber anhaltend mit einer Vielzahl von geopolitischen Krisenherden konfrontiert.
Die USA und China befinden sich zunehmend in einem Wettbewerb um den Einfluss auf, und die führende Stellung in Technologie und Wirtschaft. Dies wird auch anhalten, wir gehen allerdings nicht davon aus, dass es zu einer Eskalation um Taiwan kommen wird. 

Vor kurzem fand ein Meeting zur Erweiterung der BRICS-Staaten statt. Einige der Schwellenländer, allen voran China, treten immer selbstbewusster gegenüber dem Westen auf und versuchen nun einen stärkeren Gegenpol zur westlichen Welt zu formieren. Dies wird mittelfristig Veränderungen mit sich bringen.“


Was erwarten Sie für die Kapitalmärkte im Jahr 2024?

„Das „Softlanding“-Szenario bildet eine solide Grundlage für die weitere Entwicklung an den Kapitalmärkten. Generell sind die Aussichten für den Investor daher gut.
Von 2014 bis Anfang 2022 haben wir uns im Negativzinsumfeld befunden. Die Renditen sind in den letzten Monaten deutlich angestiegen und die Notenbanken befinden sich nahe am Peak des Zinserhöhungszyklus. An den Bondmärkten ergeben sich dadurch, nach zähen Jahren, endlich wieder attraktive Möglichkeiten.
Auch der Aktienmarkt bleibt interessant, da strukturbrechende Themen wie künstliche Intelligenz oder die Energie-Transformation längerfristig interessante Chancen bieten. Generell erscheint die Bewertung in den USA, auch weil das Thema KI zuletzt den Markt deutlich nach oben gezogen hat, ein bisschen teuer. Das könnte kurzfristig nochmals auf die Kurse drücken. Daher sind wir bei Aktien ein bisschen vorsichtiger und setzen verstärkt auf defensive- und Qualitäts-Titel.

Da die Marktrisikoprämie aktuell unterdurchschnittlich ausfällt, sind wir in Summe leicht vorsichtiger positioniert. Aber auch mit einer leicht höheren Anleihequote lässt sich in den Portfolien, aufgrund der gestiegenen Zinsen, nun wieder eine attraktive Rendite erzielen.“


Welche Empfehlungen würden Sie den Kunden der Braunschweiger Privatbank für Ihr Anlageportfolio geben?

  • Ich kann nicht pauschal die Antwort für so viele unterschiedliche Kunden geben. Hier ist es wichtig, dass die Kunden mit ihrem Berater ins Gespräch gehen. Nur der persönliche Kundenberater kann sagen, was die passende Lösung ganz individuell für den Kunden ist.
  • Generell gilt, schauen Sie nicht zu kurzfristig, Investieren sie ausgewogen und langfristig. Blicken Sie weiter in die Zukunft als 2024. Wie zuvor angesprochen, die Aussichten sind generell gut.
  • Nach langer Zeit bietet sich aktuelle wieder Chancen am Bondmarkt, diese nutzen wir für Sie in den Portfolien.
  • Aber Aktien darf man nicht außen vorlassen. Für den chancenorientierten Kunden bietet es sich an Megatrends beizumischen und einen stärkeren Fokus auf die Themen der Zukunft zu legen.

Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.