Zum Hauptinhalt springen
Kontakt

„Die Interdependenz der Risiken“

Professor Dr. Schweinsberg, Keynote Speaker des Investmentforums 2024 der Braunschweiger Privatbank, im Interview

Professor Dr. Schweinsberg ist ein gefragter Redner, Kommentator und Kritiker, zudem Gründer und Geschäftsführer des Centrums für Strategie und Höhere Führung.

Als persönlicher Berater und Coach ist Professor Dr. Schweinsberg für namhafte Unternehmer und Topmanager in Asien, Europa und den USA tätig. Er ist Affiliate Professor an der ESCP Paris und Dozent in der Generalstabsausbildung der deutschen Streitkräfte. Im Jahr 2009 wurde er in den Kreis der Young Global Leaders des World Economic Forums (WEF) Davos berufen.

Der eloquente Redner ist häufiger Gast im Fernsehen und gefragter Kommentator in führenden Medien in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er ist Autor bzw. Herausgeber verschiedener Bücher zum Thema „Wirtschaftsethik“, „Corporate Governance“ und „Systemwandel“. Sein Buch „Anständig führen“ ist inzwischen in der 3. Auflage erschienen. Mit dem Buch „Stresstest 2020 – Erfolgsfaktor Ungewissheitskompetenz“ lieferte er einen aktuellen Beitrag zu den Herausforderungen der Coronakrise. Im Rahmen des Investmentforums der Braunschweiger Privatbank konnte man ihn als Keynote Speaker an den Standorten Braunschweig, Oldenburg und Köln erleben.

Herr Prof. Dr. Schweinsberg, wie kam es zu Ihrer Beteiligung am World Economic Forum und an der Münchner Sicherheitskonferenz?

„Zum WEF war ich erstmals 2008 in meiner Funktion als Chefredakteur des Wirtschaftsmagazins Capital eingeladen und wurde dann 2009 in den Kreis der sogenannten Young Global Leaders berufen. Zur Münchner Sicherheitskonferenz wurde ich vor etwas mehr als zehn Jahren erstmals von Botschafter Wolfgang Ischinger gebeten. Wir beide hatten das Ziel, mehr CEO auf die Konferenz zu bringen und haben damals einen sogenannten CEO-Lunch ins Leben gerufen. Heute sind etliche CEO unter den Teilnehmern in München.“

Inwiefern haben diese beiden Plattformen Ihrer Meinung nach Einfluss auf globale Entscheidungsprozesse?

„Es gibt ja etliche Verschwörungstheorien vor allem, was das WEF anlangt. Dabei ist das Besondere des WEF und der MSC ja, dass dort eben keine Entscheidungen getroffen werden. Es sind also keine politischen Konferenzen im eigentlichen Sinn. Das Ziel von beiden Treffen ist der möglichst offene Austausch von Meinungen und Sichtweisen, insbesondere in Gruppen, die vielfältig zusammengesetzt sind. Das WEF ist inzwischen so groß, dass dieser Austausch nicht mehr so einfach gelingt wie in den ersten Jahren des Treffens. Bei der MSC ist das nach wie vor möglich. Und es wird dort auch genutzt. Sehr häufig werden dort politische Maximalpositionen vorgetragen, die man sonst so nicht hört. Das ist wichtig im internationalen politischen Geschäft, damit man weiß, was das Gegenüber wirklich denkt oder will.“

Wie beurteilen Sie die aktuelle globale Wirtschaftslage und ihre Auswirkungen auf die politische Stabilität weltweit?

„Ich glaube, dass sich die Wirkungsrichtung inzwischen umgekehrt hat. Die geopolitische Lage bestimmt sehr stark auch das Wirtschaftsgeschehen: Energiepreise, Inflation, Logistikkosten, Steuern und Abgaben, Infrastruktur – all diese Themen sind direkt oder indirekt von der extrem ungewissen geopolitischen Lage beeinflusst. In München sagte vor drei Jahren ein Professor aus Harvard: „guys, holiday from history is over.“ Inzwischen wissen wir alle, was damit gemeint war.“

Was waren die prägendsten Momente oder Entscheidungen, die Sie bei diesen Konferenzen erlebt haben?

„Beim WEF war es sicherlich die Teilnahme an einem „simulierten“ Flüchtlingscamp. Das war glaube ich 2008. Man wurde da für zwei Stunden in eine Situation gebracht, die einem nahebrachte, wie es sich anfühlt und anhört, in einem Flüchtlingscamp zu sein. Man sollte am besten jedermann einmal durch so eine Simulation gehen lassen. Auf dem WEF war es der CEO Lunch im Jahr 2017, wo wir Bill Gates zu Gast hatten. Entgegen der Erwartung aller Teilnehmer redete er damals nicht über Software, sondern über eine drohende weltweite Pandemie. Ehrlich gesagt wunderten sich alle Teilnehmer damals über diese Schwerpunktsetzung des Microsoft-Gründers. Auch hier wurde ein paar Jahre später klar, wie visionär der Vortrag von Gates war.“

Wie sehen Sie die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Wirtschaft und Politik in den nächsten Jahren?

„Sprachlosigkeit und Sprachunfähigkeit sind da wohl die Stichworte. Ich habe inzwischen den Eindruck, dass Politik und Wirtschaft unterschiedliche Sprachen sprechen. Gerade neulich gab es ein Treffen, wo die anwesenden Manager eindringlich vor schweren Schäden am Standort Deutschland warnten. Scholz, Baerbock und Habeck hingegen priesen die Errungenschaften ihrer Politik. Während früher die Manager dann kritische Fragen an die Politiker stellten, herrschte dort einfach Sendepause. Man hat es offenbar aufgegeben, die Politik auf den Boden der Tatsachen holen zu wollen.“

Welche Risiken und Herausforderungen sehen Sie für die Weltwirtschaft in 2024/25?

„Das Gefährliche und Tückische sind nicht die einzelnen Risiken, sondern die Interdependenz der Risiken. Das unterscheidet die Situation heute auch von früheren Krisen. Beim WEF in Davos tauchte dieses Jahr häufig die Vokabel „Polykrise“ auf. Ich hatte das vor ein paar Jahren in einem Buch mal „multiples Organversagen“ genannt. Wir haben globale Wirkungsketten. So destabilisiert der Klimawandel die Staaten in der Sahelzone, die Migration wächst, die Migration wiederum polarisiert Europa und auch die USA, das kann zu problematischen Regierungskonstellationen in diesen Regionen führen, das wiederum kann von China und den USA als Schwäche ausgelegt werden, was wiederum Einfluss auf die Situation in der Ukraine, der NATO-Ostflanke und auch auf die Situation im südchinesischen Meer hat. Russland schürt ohnehin instabile Konstellationen wie im Sahel oder Westbalkan durch Propaganda. Das kann dort zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen, was wiederum wieder Migration auslöst. Und damit sind wir dann wieder oben angelangt.“

Gibt es spezifische Trends oder Technologien, die Ihrer Meinung nach eine Schlüsselrolle in der nahen Zukunft spielen werden?

„Künstliche Intelligenz war das Thema, das beim WEF und auch in München in diesem Jahr ganz oben stand. Beim WEF in Davos wurde aber deutlich, dass die eigentliche Wucht von KI noch nicht mit den gerade diskutierten Sprachmodellen wie GPT kommt, sondern wenn KI nicht mehr auf Sprache zugreift, sondern direkt durch Sensoren am Körper, in der Kleidung etc. gefüttert wird. Auch von sogenannter organic intelligence (OI) ist inzwischen die Rede, die nicht mehr über Algorithmen gehen muss, sondern ähnlich den Prozessen im menschlichen Körper funktionieren wird.“

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Bezug auf Cyber-Sicherheit und digitale Bedrohungen ein?

„Diese Bedrohung ist inzwischen in den entsprechenden Statistiken nachzulesen. Und es bewahrheitet sich der Satz, den der ehemalige Direktor der US-amerikanischen National Security Agency (NSAI, General Keith Alexander, vor einigen Jahren mal auf der MSC sagte: „Die Hälfte der Unternehmen hat einen Cyber-Angriff erlebt. Die andere Hälfte hat es nicht bemerkt.“

Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf internationale Sicherheits- und Wirtschaftspolitik?

„Bisher führt Digitalisierung sehr häufig zum Entstehen von mächtigen Konglomeraten oder gar Monopolen, siehe Amazon, Google, Facebook etc. Wenn dies im Bereich Künstliche Intelligenz entstehen würde, wäre das noch problematischer als in den vorliegenden Fällen. Bisher gibt es null globale Governance für KI. Das ist in der Tat vergleichbar mit einer Situation, wo jedermann an Atomwaffen rumbasteln könnte und diese nach Belieben auch einsetzen. Gerade die KI-Unternehmen haben in Davos auf diese brandgefährliche Situation hingewiesen.“

Wie können Unternehmen und Staaten effektiv auf globale Unsicherheiten reagieren?

„Die Unternehmen und deren Führung muss wegkommen von einer Denke, wo man glaubt, Dinge sorgfältig planen zu können und Risiken durch eine Risikomatrix mitigiert werden können. Das Zeitalter des Risikos liegt hinter uns und wir sind inmitten einer Ära der Ungewissheit. Die Unternehmen müssen deutlich flexibler und resilienter werden, was das Geschäftsmodell, die Logistik, aber auch ihre Standorte anlangt. Außerdem müssen die Manager lernen, schneller und mit weniger Informationstiefe zu entscheiden. In meinem Buch „Anständig führen“ habe ich im Einzelnen dargestellt, warum und wie Manager heute schauen sollte, welcher Entscheidungstechniken sich z.B. Piloten oder Notärzte bedienen. Bei einem Cyberangriff haben sie meist nicht viel Zeit für Diskussionen, da muss klar sein, wer, was, wann und wie entscheidet.“

Wie sehen Sie die Rolle von Investments in der aktuellen globalen Wirtschaftslage und welche Sektoren betrachten Sie als besonders aussichtsreich?

„Ich bin kein Investmentprofi. Was mir aber im Moment wichtig scheint, ist Risikodiversifikation – sowohl was die Anlageklassen angeht wie auch die Regionen in der Welt. Ebenso würde ich über Währungen wie Euro, Dollar, Schweizer Franken, kanadische Dollars und Norwegische Krone streuen.“

In Anbetracht Ihrer Erfahrungen, wie beurteilen Sie das Potenzial von nachhaltigen und ethischen Investments im Kontext der globalen Wirtschafts- und Sicherheitspolitik?

„Hier gilt es meines Erachtens zu unterscheiden: Gerade auf dem WEF wurde in den letzten Jahren deutlich, dass ESG-konforme Investments nötig und aussichtsreich sind. Das ist ein Trend, der nicht weggehen wird. Anders sieht es beim Thema Sicherheit aus. Hier gibt es nach wie vor eine extreme Zurückhaltung bei großen Fonds in Security and Defence zu investieren. Und das macht es in Europa schwierig, hier voranzukommen. Nur staatliche Investments werden nicht ausreichen, damit Europa sich irgendwann selbst verteidigen kann. Nehmen Sie mal als Beispiel das Thema „Dual use“ Start Ups also Gründer, die neue Geschäftsmodelle für die Nutzung von Drohnen, von Überschall, von Satelliten etc. an den Markt bringen wollen. Das sind Produkte, die sowohl zivil wie militärisch genutzt werden können, aber im Moment extreme Probleme haben Investoren zu finden. Deshalb haben wir mit dem NATO Innovation Fund auf der diesjährigen Sicherheitskonferenz einen Roundtable mit CEO, Investoren, Militär und entsprechenden Start Ups gemacht, um hier ein Gespräch in Gang zu bringen. Das ist vielleicht ein gutes Beispiel, warum diese Treffen sinnvoll sind und am Ende vielleicht auch was bringen.“