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Die Beziehung und Interaktion von Körper und Raum

Carlotta Oppermann, HBK-Studentin und Performance-Künstlerin, im Interview

Schlüsselaspekte sind für Carlotta Oppermann die Beziehung und Interaktion von Körper und Raum, das Verschmelzen mit der Umgebung und der Körper im Kontrast zur Umgebung.

Die Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK Braunschweig) vergibt jährlich zum Wintersemester Deutschlandstipendien bei einer Förderdauer von zwei Semestern. Das Deutschlandstipendium ermöglicht es deutschen Hochschulen, ihre leistungsstarken und begabten Studierenden zu fördern. Dabei erfolgt die Finanzierung des Programms nach dem Prinzip eines „Matching Funds“: die Hochschule muss die Hälfte der Stipendiensumme von einem externen Förderer einwerben, sei es eine Privatperson, eine Stiftung oder ein Unternehmen, damit der Bund die gleiche Summe noch einmal zur Verfügung stellt. Die Braunschweiger Privatbank ist einer dieser Förderer, Carlotta Oppermann, eine junge, aufstrebende Künstlerin, die das Deutschlandstipendium in Anspruch nimmt. Im Interview berichtet Sie über Ihre Arbeit, Einflüsse und Ziele.

Frau Oppermann, wie verlief bislang Ihr schulischer und künstlerischer Werdegang?

„Direkt nach dem Abitur hatte ich die Gelegenheit im Rahmen einer Hospitanz in den Theaterkosmos einzutauchen und mitzuerleben, wie hinter den Kulissen ein Stück entsteht. Danach habe ich meine Sachen gepackt, bin in einen alten VW Polo umgezogen und durch Europa gereist. Die Reise endete schließlich in Köln. Damals veranstaltete das Aktionslabor PAErsche (ein offenes Performance-Netzwerk, das sich für den internationalen Austausch und die Organisation von Performance-Art Events engagiert) eine Performance Art Conference mit Workshops und Aktionen im öffentlichen Raum. Seitdem bin ich beim Aktionslabor PAErsche aktiv. Durch das ProjektCrossing a performative Ukrain – Germany exchange, das 2020/21 von PAErsche organisiert wurde, hatte ich die Möglichkeit im Rahmen einer Artist in Residency in die Ukraine zu reisen, und dort gemeinsam mit ukrainischen Performance-Künstler:innen zu leben und zu arbeiten. Die Eindrücke aus der Ukraine, das performative Arbeiten im öffentlichen Raum und die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, sind mir auch heute stark präsent. Ende vorigen Jahres konnte ich in Venedig im Rahmen von der Ausstellung Beyond Code & Time eine raumgreifende Filminstallation, die in Zusammenarbeit mit einer befreundeten Künstlerin entstanden ist, ausstellen.“

Wann und warum haben Sie sich dafür entschieden Kunst an der HBK Braunschweig zu studieren?

„Tatsächlich habe ich mein Kunststudium zunächst in Münster begonnen und bin 2018 an die HBK Braunschweig gewechselt, die ich vorher schon von den jährlichen Ausstellungsrundgängen kannte. Mir gefiel damals die Arbeitsatmosphäre, gerade auch in Kombination mit der ruhigen Stadtatmosphäre Braunschweigs, die Raum für Konzentration und Rückzug bietet, sehr.“

Sie beschäftigen sich dort vor allem mit Klangkunst und Performance. Was reizt Sie gerade an diesen speziellen Bereichen der Kunst und was sind die Besonderheiten daran?

„Ich möchte mich den Worten des Künstlers Boris Nieslony anschließen, der so treffend schreibt, „dass, das mediale Spektrum in der Aktionskunst oder Performance Art (…) so weit ist, dass ich mich darin aufgehoben finde.“ Für mich ist Performance die Möglichkeit frei über Genregrenzen hinweg zu arbeiten. Performance ist gleichzeitig Inhalt und Krug, ihr ist die Frage nach „Wo ist Kunst?“ inhärent. Performance bedeutet, ein Bild im Raum zu bauen. Eine Komposition, die aus den Koordinaten von Raum, Zeit, Ort, Licht, Flächen und Kontrasten, Farben und Schichten, dem Körper der Performenden und den Körpern der Beobachtenden besteht. Wenn ich eine Performance beobachte, passiert es mir, dass ich, eine Art konzentriertes Wissen vermittelt bekomme. Ein Konzentrat über das, was es bedeuten kann, ein Mensch im Austausch mit seiner Umgebung zu sein. Dieses Wissen verkörpert sich im Zwischenraum und in der Verbindung von Körper und Geist und löst selbst wiederum neue Gedanken und künstlerische Prozesse aus. Performance bedeutet für mich und erinnert mich auch immer wieder daran, dass ich mich in einem dauerhaften Prozess befinde, dessen Ziel es nicht ist fertig zu werden, sondern es viel mehr um das immer fortlaufende Werden selbst geht.“

Gibt es Schwerpunkt- und Schlüsselthemen, die in Ihren Arbeiten auftauchen?

Schlüsselaspekte sind die Beziehung und Interaktion von Körper und Raum, das Verschmelzen mit der Umgebung und der Körper im Kontrast zur Umgebung. Ich suche oft nach einem Zustand in dem etwas, z. B. ein Gegenstand oder eine Situation in die „Schwebe“ versetzt wird. Mich interessiert auch die Wahrnehmung von Zeit. Momente und Situationen, die wie aus der Zeit gefallen wirken oder in der Zeit zu schweben scheinen. Das gilt für meine filmischen Arbeiten und Collagen genauso wie für meine Performances.“

Sind es nur persönliche oder auch politische und gesellschaftliche Phänomene, die Sie verarbeiten und präsentieren?

„Ich stelle mir diese Frage oft selbst und komme oft zurück zu Joseph Beuys Verständnis von einer gesellschaftlichen Praxis, die als „soziale Plastik“ vorschlägt, jeden Menschen als aktiven Gestalter in einem Ganzen zu betrachten. Im Prozess meines künstlerischen Arbeitens nehme ich keine Kategorisierungen vor, die eine Einteilung im Sinne von persönlich oder gesellschaftlich, privat oder öffentlich schon im Vorfeld schafft. Ich stelle mir eher konkrete Fragen, die notwendig für das Entstehen und Sichtbarwerden der Arbeit sind, z. B. die Frage nach der Zugänglichkeit meiner Arbeiten und auf welchen vorher bestehenden Kontext diese spezielle Arbeit trifft.“

Wie würden Sie sich als Künstlerin beschreiben?

„Chaotisch, konzentriert, schwebend, ruhend.“

Was wollen Sie mit Ihren Performances beim Betrachter auslösen?

„Etwas auszulösen und etwas auslösen zu wollen, sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Ich glaube vor allem an einen energetischen Moment, der sich genauso wie im Zwischenmenschlichen auch in der Beziehung zwischen Werk und Betrachter auf eine nicht planbare Weise ergeben kann.“

Welche Rolle spielen dabei ihr eigener Körper als „Material“ und „Projektionsfläche“ („Artist Body“) und demgegenüber der Körper des Publikums („Public Body“)?

„Der Körper des Publikums ist genauso Teil der Performance, wie der Körper des Performers. Wer im Raum anwesend ist, wird auch ohne direkten Einbezug (Blickkontakt, Berührung) teil des Bildes. Hier findet, wenn man so will, eine Grenzaufhebung statt, die das Kunstwerk und den Betrachter verschmelzen lässt. Dies kann zu Spannungen oder auch zu Ablehnung führen, die das Bild beeinflussen. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass in verschiedenen Kontexten, in denen Performance Art stattfindet, oft schon im Vorfeld verschiedene Verhaltensregeln existieren, die den Körper des Beobachters einerseits eine Anleitung zum Erleben der Performance geben, andererseits aber auch ein Korsett sein können. Anstatt die Performance mit meinem Körper zu kontrollieren, versuche ich meinen Körper eher in einem Zustand der schwebenden Aufmerksamkeit zu halten. Dabei ist Ruhe und Offenheit entscheidend, um Präsenz im Moment zu ermöglichen.“

Die Ausnahme-Performerin Marina Abramović empfiehlt einen Fasten- und Schweigen-Prozess der inneren Reinigung („Cleaning the House“) an abgelegenen Orten um die (Selbst-) Wahrnehmung zu schulen. Arbeiten auch Sie mit dieser Methode?

„Ja, ich habe auch meine individuellen Praktiken, um innere Konzentration zu stärken und eine erweiterte Verbindung mit mir selbst und der Umgebung herzustellen. Es gibt zum Beispiel speziellen Atemübungen, die von Apnoetauchern praktiziert werden, die ich laienhaft ausübe.“

Abramović lotet in Ihren Performances Ihre eigenen physischen und mentalen Grenzen aus bis hin zu extremen Belastungen und Schmerzen. Wie weit würden Sie selbst gehen?

„Ich glaube, dass wir im aktuellen Diskurs und in der Weite, die der Performance Art Kosmos darstellt, an einem Punkt sind, an dem wir nicht den Fehler machen sollten, Schmerz und Radikalität gleichzusetzen. Mit einem Augenzwinkern möchte ich antworten, dass man für sich selbst schlecht beurteilen kann, wie „weit man gegangen ist“. Gerade weil man, wenn man wirklich weit gegangen ist, zumeist nicht mehr dort ist, wo man hergekommen ist.“

Performance ist situative, flüchtige und vergängliche Kunst. Wie schwierig ist deren kommerzielle Vermarktung bzw. welche Rolle spielt dieser Aspekt für Sie?

„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Performance-Art-Netzwerk international eng verbunden ist. Performance Art findet unter anderem auf Festivals, Workshops, Tagungen etc. statt, die im gewissen Sinne auch eine Vermarktung darstellen. Für mich ist ausschlaggebend, selbst in der Position sein zu können Kunst zu machen, das gelingt mit mehr Geld nicht automatisch besser.“

Sie haben sich auch mit Malerei beschäftigt, unter anderem mit Bleistift gezeichnet.  Inwieweit beschäftigen Sie sich noch damit?

Für mich läuft das alles parallel miteinander und zueinander ab. Zeichnen, skizzieren, schreiben, collagieren, filmen – ein Bild komponieren – das mache ich. Es kann eine großformatigen Wandarbeiten, eine Filminstallation oder eine Performance entstehen. In meinen Künstlerbüchern verarbeite ich z. B. gefundenes Material und füge es nach anderen Gesichtspunkten wieder zusammen. Eine ähnliche Herangehensweise kann man in meinen performativen Arbeiten auch beobachten.“

Wie wichtig ist für Sie das Deutschlandstipendium der HBK, dass von der Braunschweiger Privatbank gefördert wird?

„Von der Braunschweiger Privatbank gefördert zu werden, hat eine sehr große Bedeutung für mich. Neben der finanziellen Förderung bin ich von dem Engagement der Braunschweiger Privatbank begeistert, das jungen Künstler:innen die Möglichkeit bietet ihren Arbeiten eine Plattform zu geben.“

Wie läuft die Zusammenarbeit mit der Braunschweiger Privatbank?

„Die Braunschweiger Privatbank organisiert regelmäßig verschiedene Veranstaltungen, bei denen Künstler:innen ihre Arbeiten einem interessierten Publikum präsentieren können und so in einen Austausch treten können. So bringt die Braunschweiger Privatbank Künstler:innen in einen wichtigen Austausch mit Kunstinteressierten und schafft es so eine Brücke zwischen Kunstschaffenden und ihren Betrachtern, die ich für sehr wichtig halte.“

Was sind Ihre kurz- und langfristigen Ziele als Künstlerin?

„Momentan stecke ich in den Vorbereitungen für ein Performance-Festival in Riga, danach habe ich die Möglichkeit eine meiner Filmarbeiten bei einer Ausstellung in Istanbul zu zeigen. Mein Ziel ist es in Bewegung zu bleiben, ohne die Konzentration zu verlieren. Das wunderbare, manchmal aber auch anstrengende am Kunst-machen ist, dass es oft mit Reisen verbunden ist. Momentan merke ich wieder, wie das „da draußen sein“ eine Unruhe erzeugt, die den künstlerischen Prozess auch behindern kann. Eines meiner kurzfristigeren Ziele ist es, ein größeres Atelier zur Verfügung zu haben, eine Art sicheren Hafen, in dem ich auftanken, experimentieren und schöpfen kann. Ich hoffe auch sehr darauf, dass ich in diesem Jahr die Möglichkeit habe eine Performance-Art Projekt gemeinsam mit befreundeten ukrainischen Künstler:innen zu veranstalten, die sich momentan in Deutschland aufhalten.“