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„Das Unmittelbare, nicht Gestellte und sehr Echte“

Jan-Hendrik Brinkmann, HBK-Meisterschüler und aktueller Förderkünstler der Braunschweiger Privatbank, im Interview

Der Alltag auf dem Land beinhaltet viele Facetten. Einen ganz besonderen Blick auf das dörfliche Geschehen – und vor allem die Menschen, die hier leben –, präsentiert der Maler Jan-Hendrik Brinkmann. Im Jahr 2023 absolvierte dieser sein Diplom-Studium der Freien Kunst an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig (HBK) und arbeitet dort seitdem als Meisterschüler bei Prof. Wolfgang Ellenrieder.

Im Hintergrund von Brinkmanns aktuellen farb- und ausdrucksstarken Bildern, die zuweilen von einem gemalten, bunt-geblümten Ornamentrand umgeben sind, erkennt man große gelbe, hell- und dunkelgrüne Anbau- und Weideflächen mit rot-braunen Höfen und Häusern. Mittendrin stehen und sitzen Dorfbewohner in Kleidern und Kitteln, Anzügen und Trachten. Mal nachdenklich, mal sinnierend oder den Betrachter direkt anblickend. Dazu gesellen sich unter anderem reichhaltige Kaffee- und Kuchen-Gedecke, schwarz-weiße Milch-Kühe und akkurat gemalte Bier-, Schnaps- und Sprudelflaschen. Eine ruhige, entschleunigte dörfliche Idylle wird hier ausgebreitet in der die fortschreitende Digitalisierung noch keinen Einzug gehalten hat. Das Einzige, was in diesen authentischen und stereotypischen Szenarien vielleicht Lärm verursacht ist die Schützenfestkapelle auf dem Bild „Eine Symphonie in Stop-Motion [drrr uh drrr om drrrratatatam]“.

Brinkmann hat einen realistischen, eindringlichen, aber nie abwertenden Blick auf die Dinge, die er dem Betrachter wie einen großen Präsentkorb (auf dem Bild „Herzlich willkommen [drrr ratatataa]“) darreicht. Der kann selbst entscheiden, was er davon nimmt und damit macht.

Bis zum 13. November 2024 kann man seine expressiven Momentaufnahmen in den Räumen der Braunschweiger Privatbank erleben. Im Interview erzählt der HBK-Meisterschüler unter anderem über seine Arbeitsweise und Inspirationen.

Herr Brinkmann, alle ihre Bilder, sowohl grafischer als auch malerischer Natur, beziehen sich auf die dörfliche Gegend, in der Sie aufgewachsen sind. Wie verlief Ihre Kindheit und Jugend? Was waren besonders prägende Ereignisse?

„Es geht in meinen Bildern genauso um mich, wie um Sie. Ich strebe einen möglichst allgemeinen Zugang zum Bild an und versuche die Rezipient:innen auf unterschiedliche Weise, wie zum Beispiel den Einsatz von Farbe, die abgebildeten Szenen, oder die Bildtitel, in meine Bilder hineinzuziehen. Ein höchst autobiografischer Zugang mit Rückgriff auf meine Kindheit und Jugend eignet sich deswegen meines Erachtens weniger, um sich den Bildern möglichst unvoreingenommen zu nähern.“

Was fasziniert Sie grundsätzlich an dem Thema Menschen vom Land und ihr alltägliches Dorfleben?

„Interessant ist für mich vor allem das Unmittelbare, nicht Gestellte und sehr Echte. Alles, was in meinen Bildern gezeigt wird, ist irgendwie schonmal passiert.
Dabei spielt der Mensch in seinen wiederholt ausgeführten Handlungen, die oft etwas Ritualisiertes haben können und zuvor wenig um Sinnhaftigkeit gefragt haben, eine zentrale Rolle. Häufig führen Figuren in meinen Bildern Handlungen aus, die auf gewissen Normen basieren. Sie setzen sich zum Beispiel an einen Tisch und warten bis das Essen kommt, das Geschenk wurde vorher natürlich übergeben. Auf der anderen Seite sitzen auf meinem Bildern Figuren oftmals allein, isoliert irgendwo herum. Sie sind allein mit sich und ihren Gedanken und Meinungen. Diese beiden Aspekte stehen stellvertretend für Aspekte, die in Gesellschaften passieren. Die Landschaft ist ruhig. Sie erstrahlt in bunten Farben und fungiert für mich in gewisser Weise als Gegenpol.“

Ihre Motive stammen von privaten Fotografien, aber auch von Ansichtskarten. Warum nutzen Sie diese als Inspirationsquelle?

„Ich wollte so nah rangehen, wie ich kann, um dann in einem zweiten Schritt Aspekte des Lebens – sowohl des Miteinanders, Nebeneinanders, als auch Gegeneinanders – auf eine allgemeingültigere Ebene zu bringen. Die privaten Fotografien sind dabei oft aus den eigenen Familienfotoalben, die Fotos gehen zurück auf das späte 19. Jahrhundert und reichen bis zum Moment gerade eben, an dem ich oder eine andere Person den Fotoauslöser gedrückt hat. Ich habe den vollständigen ungeschönten Zugriff auf dieses Bildarchiv und bediene mich bewusst und teils unbewusst aus diesem Archiv, um collageartig zu arbeiten. Die gezeigten Landschaften sind beispielsweise aus verschiedenen Bildquellen zusammengesetzt und existieren so nicht. Vielmehr sind sie Ideen von Orten, die wir alle kennen. Die Figuren geben hingegen die Möglichkeit einer expliziteren Kontextualisierung.“

Wie würden Sie die Szenarios und Menschen, die auf Ihren Bildern dargestellt werden, beschreiben?

„… als das Leben in einer gesellschaftlichen Struktur.“

Zuweilen fühlt man sich in ihren Arbeiten direkt in Heinz Strunks Roman-Bestseller „Fleisch ist mein Gemüse – eine Landjugend mit Musik“, die unter anderem die Auftritte einer Schlager-Tanzkapelle auf verschiedene Familien- und Vereinsfeste des dörflichen Norddeutschlands thematisiert, versetzt. Sehen Sie Parallelen?

„Sicherlich, ich sollte Herrn Strunk mal anrufen, um mit ihm bei Grünkohl und Kartoffeln über Sinn und Unsinn zu sinnieren.“

Wie viel Humor oder auch Ironie steckt in Ihren Arbeiten?

„Witz liegt immer in der Natur der Sache, von bissiger Ironie im Hinblick auf die Portraitierten distanziere ich mich. Denn bei der Anfertigung eines Portraits ist man immer dem Menschen hinter dem Portrait verpflichtet. Welche Rückschlüsse die Betrachter:innen für sich treffen, liegt bei Ihnen.“

Ihr Master-Studium haben Sie mit einer Arbeit über Einflüsse der Pop-Art auf das malerische Werk Daniel Richters abgeschlossen. Inwieweit haben diese Stile Einfluss auf Ihre Werke?

„Ich glaube, dass vor allem ein Einfluss der Künstler:innen der zweiten Generation der britischen Pop-Art vorhanden ist, wenn man bei Einflüssen von zum Beispiel R.B. Kitaj und David Hockney von Pop Art sprechen möchte. So liegen auch meinen Bildern autonome beliebig einsetzbare Elemente zu Grunde. Vor allem ist das Werk Hockneys im Hinblick auf seine Farbigkeit zu nennen. Daniel Richter ist sowohl inhaltlich als auch gestalterisch immer Thema, auch wenn sich dies vielleicht nicht auf den ersten Blick aufdrängt.
Im Hinblick auf die anderen vorausgegangenen Fragen gibt es in Teilen sicherlich eine Nähe zu den Arbeiten von Matt Bollinger.“

Was wollen Sie beim Betrachter mit Ihren Werken auslösen? Welche Gefühle wollen Sie hervorrufen?

„Wenn ich es mir wünschen könnte, werden die Betrachter:innen unweigerlich in ein Bild hineingezogen und wollen sich mit diesem auseinandersetzen. Am Ende geht es immer um ein Gespräch.“

Welche Reaktionen erhalten Sie?

„Was ist Ihre Reaktion?“

Malen Sie mit Ihren Werken gegen ein langsam aussterbendes ländliches Leben an?

„Nein.“

Bauern protestieren derzeit gegen die Kürzung von Subventionen. Europas Landwirte fühlen sich seit Jahren aufgerieben zwischen Klimawandel und Politik, vermissen den Respekt vor ihrer Arbeit. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

„Mit dieser Frage kann ich wenig anfangen, da meine Lebensrealität eine andere ist, als die der angesprochenen Protestierenden.“

Enthalten Ihre Arbeiten eine sozialkritische, eine politische Komponente?

„Ja.“

Wie beurteilen Sie die Zusammenarbeit mit der Braunschweiger Privatbank?

„Eine Beurteilung kann meiner Ansicht nach immer erst nach dem Ende einer Zusammenarbeit stattfinden. Auf jeden Fall sind Förderprogramme wie dieses und das damit verbundene und aufgebrachte Engagement wichtig, damit junge Künstler:innen zu einem früheren Karrierezeitpunkt eine Chance bekommen.“

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

„Frieden, Gleichberechtigung und Offenheit. Menschen müssen versuchen, das Gegenüber im Gespräch zu verstehen.“

Vielen Dank für die Beantwortung.

„Immer gern.“